Mamablog: Leben als Sandwichkind

Unsere Autorin erzählt vom Ringen nach Aufmerksamkeit als Sandwichkind, dem Gefühl, nie ganz dazuzugehören – und warum Übertreiben oft der einzige Weg ist, sichtbar zu bleiben.

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Unsere Autorin erzählt vom Ringen nach Aufmerksamkeit als Sandwichkind, dem Gefühl, nie ganz dazuzugehören – und warum Übertreiben oft der einzige Weg ist, sichtbar zu bleiben. Wir schreiben das Jahr 1987. Plastik wird nicht recycelt, sondern gefeiert.

Tupperware-Partys und Batikmuster erschüttern die Welt, Thomas Gottschalk erobert die Herzen und «Dirty Dancing» die Kinos. Nirvana wird gegründet, die Wegwerfkamera erfunden und das Schulterpolster entfernt. Steffi Graf ist die Nummer eins, und als wäre das alles nicht schon aufregend genug, wird irgendwo in der kleinen Schweiz – im Zürcher Unterland, um genau zu sein – ein Mädchen geboren.



Eines mit wenig Haaren und speckigen Wangen. Das Baby spürt vom ersten Atemzug an, dass es dazu berufen ist, etwas Besonderes zu sein. Wenige Tage später, im gestrickten Overall, schwebt es auf dem stolzen Arm der jungen Mutter wichtig durch die Tür.

Und blickt in zwei rotzverschmierte Gesichter auf unbeholfenen Körpern, unter Haaren, die dichter wachsen als die eigenen. Die klebrigen Hände im Gesicht, realisiert das arme Kind, dass hier bereits zwei andere sind. In einem einzigen Moment wird seine Wichtigkeit durch drei geteilt.

Es ist nicht auserkoren, sondern hineingeboren in eine unveränderliche Hierarchie. Dass besonders sein schwierig werden könnte, dessen wird sich das kleine Mädchen schnell bewusst. Zum Glück ahnt es noch nicht, dass sie erst die Dritte von vieren ist.

Wenn schon die Mitte, dann wenigsten die goldene. Aber die gibt es in Grossfamilien nicht. Das Baby kriegt endlich Haare.

Nicht nur auf dem Kopf, auch auf den Zähnen. Die Tochter zu zähmen, wird mitunter zur Belastungsprobe. Sie stellt sich quer, hat einen eisernen Willen, ist impulsiv, sensibel und immer dann zu still oder zu laut, wenn das andere passen würde.

Aber Sandwichkinder haben es imfall auch nicht leicht. Zwar sind sie nie allein und haben immer ein Gspänli zum Spielen, aber die Wunden, die sich die Käse-, Schinken- und Gurkenkinder dabei zuziehen und aus denen wie klebriger Eiter der Geltungsdrang trieft, sitzen ziemlich tief. Es ist nicht lustig, mit 37 festzustellen, dass man immer noch das ständige Gefühl hat, zu kurz zu kommen und ein Niemand zu sein.

Klar, ich übertreibe. Aber Mittelkinder müssen übertreiben, sonst gehen sie unter. Ich bin eine gestandene Frau, würde ich sagen.

Schlau, gebildet und auf meine eigene Art sogar erwachsen geworden. Aber ich streite mich mit den eigenen Kindern um das letzte Würstchen, kann sie auf keinen Fall bei irgendwas gewinnen lassen und übe heimlich das Radschlagen, weil es mich zu Tode nervt, dass das alle ausser mir können. Geschwisterkonstellationen sind nicht zu unterschätzen.

Aber mal ehrlich: Irgendwie ist doch jeder Platz scheisse. Die Ältesten beklagen sich, weil sie stets zuverlässig und vernünftig zu sein hatten, die anderen aber viel öfter gelobt wurden (was wahrscheinlich daran liegt, dass man bei denen so erstaunt war, wenn sie etwas gut machten). Während ihr Spass das Erfüllen von Erwartungen war, mussten sie zuschauen, wie die jüngeren, unbeschwerten Einhörner auf Regenbogen und Nasen herumtanzten und goldenen Rauch furzten.

Sie konnten ja nicht wissen, dass die Wurzel dieser unerhörten Selbstdarstellung die Verkennung des eigenen Wertes war. Dass es sich nicht um Selbstdarstellung handelte, sondern um ein verwirrtes Herumtänzeln auf der Suche nach dem rechtmässigen Platz, der immer aufleuchtete und wieder verschwand – wie bei diesem Spiel «Twister Move». Nur heisst dieses Spiel «Geschwister Groove».

Und man kann es nur verlieren. Ach, war ich froh um die Einzelkinder. Zu denen konnte ich fernsehen, gamen und Caprisonne trinken gehen, musste nicht reden und wurde in Ruhe gelassen.

Diesen Text widme ich allen Sandwichkindern. Fehler gefunden? Jetzt melden. Erhalten Sie die besten kulinarischen Storys, Rezepte und Trends.

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